Wir haben die junge Co-Gründerin der App Trill beim World Frontiers Forum in der Factory Berlin getroffen
Ari Sokolovs Kampf gegen Cyberbullying
Ari Sokolov ist ein ganz normales Mädchen aus Los Angeles: Sie ist achtzehn Jahre alt und besucht die University of California, an der sie Technik und Design studiert. Ihre Eltern sind Ärzte. Ari hat viele Freunde und verbringt wie alle Teenager viel Zeit in sozialen Netzwerken. Doch etwas unterscheidet sie von den meisten Mädchen und Jungen in ihrem Alter: Ari ist Gründerin und CEO des Trill Projects. Mit bereits dreizehn Jahren hat sie sich das Programmieren von Apps beigebracht und gewann im Alter von 16 Jahren mit ihrer Freundin und der gemeinsamen App Trill den von Apple ins Leben gerufenen Wettbewerb der Worldwide Developers Conference (WWDC). Seitdem reist sie als Botschafter der WWDC um die Welt und spricht an Schulen und Universitäten über die App und ihre Vision, für mehr Bewusstsein für mentale Probleme bei Jugendlichen, insbesondere der LGBT + Community zu sorgen.
Vom 8. bis 9. November fand in der Factory Berlin, einem der Hubs der Berliner Start-up-Szene, das World Frontiers Forum (WFF) statt, zu dem zahlreiche namenhafte Redner der Tech-und Digitalbranche geladen waren. Im Vordergrund des Diskussionsforums, das sich mit Zukunfts- und Menschheitsfragen auseinandersetzt, stand dieses Mal die menschliche, digitale Identität. Umso naheliegender war es für die Veranstalter auch Ari Sokolov als Pionierin der Branche nach Berlin einzuladen. Wir haben Ari bei dieser Gelegenheit in der Factory Berlin getroffen um mit ihr über Trill, die Gefahren von Social Media und den Umgang mit Cyberbullying in der heutigen Zeit zu sprechen.
Ari, du hast heute als CEO und Gründerin der App Trill im Rahmen des Forum über digitale Identität gesprochen. Wie kam es überhaupt dazu, dass Du bereits mit 13 eine App entwickelt hast?
Mit dem Programmieren habe ich angefangen, als ich acht Jahre alt war. Damals war ich eigentlich in einem Kurs für Fotografie eingeschrieben, doch einmal bin ich versehentlich in den falschen Raum und fand mich im Kurs für Computer Science wieder. So begann ich mich mit Computerprogrammierung zu beschäftigen.
Damals gab es auch einen Wettbewerb von Apple. Jeder, zwischen dreizehn Jahren bis zur Graduate School konnte teilnehmen. Man musste nur eine App entwickeln. Ich war 13 und machte mit und habe zeitgleich begonnen in diesem Bereich zu freelancen. Drei Jahre später kam ich an einen Punkt, an dem ich mir dachte: „Es wird noch so lange dauern, bis du einen Job haben wirst und Geld verdienen musst – wieso machst du nicht etwas aus deinen Fähigkeiten, das anderen hilft? So entstand dann die App, wegen der ich heute hier bin: Trill. (Anm. d. Red. der Name Trill setzt sich aus den Wörtern „true“ und „real“ zusammen)
Zum Programmieren bist Du also mehr oder weniger durch Zufall gekommen. Was denkst Du, welche Rolle es gespielt hat, dass Du in Los Angeles (Kalifornien) lebst und zur Schule gehst?
Zu der Worldwide Developers Conference (WWDC) lädt Apple Schüler aus der ganzen Welt ein. Beispielsweise kommt eine sehr gute Freundin, die ich dort kennengelernt habe, aus Deutschland. Das gesamte Programm ist global ausgerichtet und die Teilnehmer und Veranstalter verstehen Coding als eine universelle Sprache, die keine Ländergrenzen kennt.
Aber ja, natürlich bin ich glücklicherweise auch auf einer Highschool, an der eine Vielzahl von jungen Mädchen Computer Science Kurse belegt und die in diesem Bereich gefördert wird. Wir hatten einen Girls Club mit 15 Mitgliedern, in dem wir uns auf die Wettbewerbe vorbereitet und uns gegenseitig geholfen haben. Ohne diese gegenseitige Unterstützung und unsere schulische Infrastruktur wäre es bestimmt schwieriger gewesen.
Mit der App Trill wollt ihr einen „sicheren digitalen Raum“ schaffen, der es u.a. Menschen, die Opfer von Internet Mobbing wurden, ermöglicht sich auszutauschen – hast Du selbst Erfahrungen mit Cyberbullying gemacht?
Eine Mitbegründerin der App und sehr gute Freundin von mir ist bisexuell und hatte eine schwere Zeit während ihres Outings. Sie erzählte mir von Freunden und Bekannten, die, obwohl wir in Los Angeles in einem verhältnismäßig liberalen Umfeld leben, auch dort noch nicht akzeptiert werden. Außerdem fanden wir bei unserer Recherche heraus, dass vierzig Prozent der transsexuellen Jugendlichen weltweit versuchen Selbstmord zu begehen und psychische Probleme in der LGBT+ Community besonders häufig vorkommen. Also haben wir angefangen andere Jugendliche an unserer Schule und online zu diesen Themen zu befragen, vor allem in den Clubs und Gruppen der LGBT+ Community. Wir wollten herausfinden, mit welchen Problemen sie zu kämpfen haben und wie wir ihnen helfen könnten. Eines der Hauptprobleme lautete immer wieder, dass sie sich allein und isoliert fühlten.
Mit Trill wollten wir also genau da ansetzen und diesen Menschen das Gefühl geben, dass sie nicht alleine sind und sie ganz sie selbst sein können, ohne Angst zu haben, ausgeschlossen zu werden.
Ist die App also nur für Menschen, die der LGBT+ Community angehören?
Die App ist grundsätzlich für alle jungen Menschen, die mit Depressionen, Ängsten, Mobbing oder anderen psychischen Problemen Erfahrungen gemacht haben. Auch Menschen, die generell Hilfe im Alltag suchen, können die App nutzen. Wir haben die Erfahrung gemacht, dass fast jeder Jugendliche, der sich hilflos oder allein fühlt die App hilfreich findet. Es ist auch toll zu sehen, dass die App Jugendliche weltweit vernetzt. Wir haben User aus über vierzig verschiedenen Ländern.
(Anm. d. Red.: Die App ist bis jetzt nur in Englisch anwendbar, es wird aber an verschiedenen Sprachversionen gearbeitet)
Teilweise wenden sich Jugendliche mit sehr schwerwiegenden Problemen an die Community, wie geht ihr mit dieser Verantwortung um?
Wir arbeiten u.a. mit Hilfsorganisationen, Notfall-Hotlines für Suizidgefährdete und psychologischen Beratungsstellen zusammen. Allerdings haben wir noch nicht in allen Ländern flächendeckende Partner – aber daran arbeiten wir.
Ihr wollt also nicht Psychologen und Experten ersetzen?
Nein, wir sehen uns als erste Anlaufstelle oder Vermittler für die, die professionelle Hilfe wünschen. Trill bietet einen sicheren digitalen Raum, um sich austauschen und mitteilen zu können.
Würdest Du sagen, dass Social Media mit Schuld ist an Cyberbullying und den Problemen unter denen eure User leiden?
Ich denke, es gibt ganz unterschiedliche Ursachen für die psychischen Probleme Jugendlicher.
Vor allem Depressionen sind eine typische und häufige psychische Erkrankung in meiner Generation, verglichen mit den vorherigen. Der Druck in der Schule steigt und auch der Umgang mit digitalen Medien beansprucht einen großen Teil unseres Lebens. Aber der Grundgedanke von Social Media ist aus meiner Sicht, ein sehr positiver. Dank dieser Technologie können sich Menschen vernetzen, deren Wege sich im realen Leben vielleicht nie kreuzen würden – und das ist eine der schönsten Arten diese Technik zu nutzen. Aber natürlich kommt es auch vor, dass Soziale Netzwerke ausgenutzt werden, um Umsätze zu steigern und Geld zu verdienen. Diese toxische Form von Social Media, mit Likes und Followern, und dem Ziel eine perfekte Version seiner selbst zu schaffen, ist aber nicht die Essenz Sozialer Netzwerke.
Eure Plattform ist komplett anonymisiert. Ist das nicht riskant, weil digitale Identitäten häufig ausgenutzt werden um Hass und Unruhe zu verbreiten?
Als wir uns mit der Entwicklung unserer App beschäftigten, haben wir andere anonymisierte Apps verglichen. Viele davon, wie beispielsweise Yik Yak (Anm. d. Red.: mobile Social-Media-App, die 2017 eingestellt wurde) wurden vom Markt genommen, weil sich herausgestellt hatte, dass sie von sog. Trollen unterwandert wurden und lediglich dazu dienten die Aktivität der User zu erhöhen. Unser Ziel ist es aber den Menschen die Angst zu nehmen, ihre Geschichten zu erzählen – frei von Bewertungen. Daher werden die Beiträge auf Trill auch nach kurzer Zeit wieder gelöscht. Oft schon nach ein paar Stunden. So versuchen wir digitalen Missbrauch der Plattform zu verhindern und unsere User fühlen sich durch ihre digitale Anonymität sicher vor solchen Angriffen.
Wie stellt ihr die Anonymität und den Schutz eurer User sicher? / Wie bleibt der Raum den ihr digital bietet, sicher?
Wir haben circa 100 Moderatoren, die nur dafür zuständig sind genau diese Sicherheit zu bieten. Vielen von ihnen stehen in direktem Kontakt zu Suizid-Hotlines. Bisher mussten wir zwei Leute sperren, die die App missbräuchlich verwendet haben oder der Verdacht auf Trolls bestand. Teilt jemand konkret suizidale Gedanken oder ähnlich depressive Emotionen, die indizieren, dass die Person vorhat sich selbst zu verletzen, poppt ein Chat auf, der nachfragt, ob jemand explizit Hilfe benötigt und verbindet auf Wunsch mit zuständigen Stellen. Dafür sorgen sowohl die Moderatoren, als auch ein Algorithmus.
Für die Moderatoren gibt es spezielle Trainings, wie sie sich in solchen Situationen zu verhalten haben. Auch bekommen sie regelmäßig psychologische Beratung, um der starken emotionalen Belastung dieser Arbeit standhalten zu können. Wir schicken ihnen motivierende Memes und arbeiten mit Psychologen und Experten zusammen, die sie bei der Beratung unterstützen. Zwei unserer Mitarbeiten sind nur für die Moderatoren und deren Rückhalt zuständig. Die meisten Moderatoren knüpfen durch diese Arbeit auch Freundschaften untereinander, ohne Leidenschaft wäre das nicht machbar.
Wie fühlt es sich für dich an als junge Frau in der männerdominierten Tech-Branche erfolgreich zu sein?
Ich habe eigentlich selten das Gefühl, dass sich jemand mir gegenüber absichtlich sexistisch verhält. Dennoch glaube ich, dass mir häufig andere Fragen gestellt werden, als meinen männlichen Kollegen oder Mitstreitern. Ich denke aber, dass man als junge Frau in diesem Business schnell dazulernt und diese Art von Fragen in die Richtung drehen kann, in der man sie auch beantworten möchte.
Beispielsweise?
Junge männliche Unternehmer werden häufiger gefragt, wie sie ihre Umsätze steigern wollen, während ihre weiblichen Pendants dagegen gefragt werden, wie sie überhaupt Gewinn machen möchten mit einer Idee. Die Fragen, die Frauen gestellt werden, kommen meist von einem negativeren Standpunkt aus. Generell denke ich, dass es für Frauen in der Branche gar nicht so schlecht aussieht, wie ich anfangs dachte. Allerdings denke ich, ist es sehr wichtig aufmerksam und sich auch über unbewusste Voreingenommenheit im Klaren zu sein.
Deine Generation ist also auf einem guten Weg in Richtung Gleichberechtigung?
Das ist für mich noch etwas schwer zu sagen, da die meisten Leute, mit denen ich arbeite und mit denen ich an Trill zusammengearbeitet habe älter sind. Daher weiß ich noch nicht, ob man sagen kann, dass die nächste Generation etwas verbessern wird. Aber ich glaube das Bewusstsein über Ungleichheiten und ihre Präsenz steigt stetig. Zudem tragen die vielen verschiedenen Programme, die explizit Mädchen und Frauen fördern und adressieren, dazu bei, dass die Tech-Branche zu einem gleichberechtigteren Spielfeld wird.
Hilft Social Media auch bei diesem Thema?
Teilweise ja, teilweise nein. Häufig folgen Frauen nur Frauen und teilen weiblichen Content.
Es wäre im Sinne der Gleichberechtigung natürlich hilfreicher, wenn soziale Medien auch mehr Männer in entsprechenden Diskursen integrieren könnten. Ich glaube aber, dass in den meisten Fällen nicht Frauen sich gegenseitig diskriminieren, sondern in den meisten Fällen Männer. Wenn soziale Medien es schaffen würden, ein größeres männliches Publikum für solche Themen zu erreichen, würde das dazu führen, demonstrieren zu können, wie gut und effektiv Männer und Frauen zusammenarbeiten können. Das ist meine persönliche Meinung und ich bin optimistisch, dass wir uns in die richtige Richtung bewegen.
Heute ging es auch darum, dass Monica Lewinsky sich selbst als erstes bekanntes Opfer von Cyberbullying sieht. Sie selbst hat dazu Interviews gegeben und einen TED-Talk gehalten. Siehst Du sie als eine Art Vorbild für euer Anliegen?
(lacht) Ich war nicht mal geboren, als Moncia Lewinsky bekannt wurde durch die Affäre mit Bill Clinton. Auch wenn die meisten Menschen wahrscheinlich mit ihrem Namen nichts anfangen können, bin ich sehr beeindruckt von ihrem Mut. Sie hat es geschafft, aus einer für sie negativen Situation, eine Diskussion anzustoßen und zu sagen: „Ich bin Opfer von Cyberbullying geworden und kann sagen, dass es eine sehr schmerzliche Erfahrung ist. Gegen diese Erfahrung sollte man sich wehren können und dagegen muss in Zukunft etwas getan werden.“ Diese Motivation finde ich bewundernswert.
Apropos Zukunft, wie stellst Du dir Deine vor?
Das ist eine Frage, deren Antwort ich noch herausfinden muss. Letztendlich, wenn ich reflektiere was ich erreichen will. Ich fände es toll, wenn man sich an mich erinnern würde, weil ich etwas geschaffen habe, dass länger existieren wird als ich selbst. Eine Idee oder eine Erfindung, die die Welt zu einem gerechteren Ort macht. Bis jetzt habe ich immer Dinge getan, die mir Spaß machen. Und offensichtlich macht es mir Spaß zu Kreieren. Besonders mit dem Ziel Gemeinschaften zu unterstützen, die sonst keine Möglichkeiten haben sich auszutauschen. Das klingt etwas abstrakt, aber genau das, was ich gerade mache, macht mir Spaß und ich habe ja auch noch Zeit.
Interview: Kathrin Rettig