Monster, Liebe und der Untergang der Schweiz: auf dem Max-Ophüls-Preis in Saarbrücken setzen sich junge Filmemacher über alle Konventionen hinweg.
Film-Festivals laufen so: man kommt an und beginnt desorientiert im Programm zu blättern, checkt die Leute aus, trinkt zu früh am Tag ein kaltes Bier, dann ein zweites. Dann schaut man viele Filme, die man sonst niemals schauen würde, die man mal liebt, mal hasst. Nach den ersten Screenings landet man nachts womöglich von einer koreanischen Kamerafrau gelotst in der Love Eros Bar gegenüber des Hauptbahnhofs, in der harter Techno läuft, harte Männer schweigend am Tresen Karlsberg Urpils für 2.20€ trinken und ein 22-Jähriger Security, die Oberarme dicker als meine Waden, für Ruhe sorgt. So kann es gehen, jedenfalls in Saarbrücken, auf dem Max-Ophüls-Preis – dem bedeutendsten Festival für den deutschsprachigen Nachwuchsfilm.
Saarbrücken ist eine komische, zerbombte, wiederaufgebaute Stadt, deren gemütliche Provinzialität nur einmal im Jahr durch den Einfall junger Filmemacher gestört wird. Auf dem Ophüls-Preis nahmen die Karrieren von Hans Weingartner, Daniel Brühl, Till Schweiger, Helene Hegemann und von Jakob und Tom Lass an Fahrt auf. 16 Filme liefen im Wettbewerb. Ganz unterschiedliche wie der psychologisch-monströse Coming-of-Age Film Der Nachtmahr von AKIZ, die so leichte wie verschrobene Komödie Ferien der Detlev Buck Tochter Bernadette Knoller oder Looping mit Jella Haase von Leonie Krippendorff, über die elegische, geradezu ins Mythische entfliehende Dreiecksbeziehung dreier Frauen. Dazu perfekt produzierte Samstagabend Unterhaltung wie der mit dem Publikums Preis ausgezeichnete Film Schrotten! des Studenten-Oskar-Gewinners Max Zähle mit Frederick Lau und Lucas Gregorowicz. Perfekt produziert und charmant aber dabei so vorhersehbar wie harmlos.
DER NACHTMAHR | Trailer | NEW GERMAN FANTASTIK CINEMA | 2015 | AKIZ from AKIZ IKON on Vimeo.
Den Max-Ophüls-Preis gewann Stephan Richters puristisches Drama Einer von uns. Der Film basiert auf einer wahren Geschichte. In der österreichischen Provinz nahe Krems wurde 2009 ein 14-Jähriger Junge nachts bei einem Einbruch in einen Supermarkt von der Polizei erschossen, sein 16-Jähriger Kollege schwer verletzt. Der Fall machte Schlagzeilen. Richter inszeniert Einer von uns als zwangsläufige Tragödie einer sich in apathischen Konsum zurückgezogenen Gesellschaft. Das Österreich der Provinz ist hier steinern in Gedanken, verhärtet und steif in seiner Körperlichkeit. Auf den Brachflächen am Rand des relativen Wohlstands eines ideell und moralisch abgewirtschafteten Mittelstandes wendet sich eine ganze Generation von den Eltern ab. Ohne aber eine neue, eigene Utopie denken zu können.
ONE OF US / EINER VON UNS – Teaser #1 from Golden Girls Filmproduktion on Vimeo.
Von einer gesellschaftlichen Versteinerung erzählt auch der Schweizer Beitrag Heimatland, der in Saarbrücken zwangsläufig mit dem Preis für den gesellschaftlich relevanten Film ausgezeichnet wurde. Heimatland wurde von Michael Krummenacher inititiert. Verbindet aber zehn miteinander verwobene Episoden von zehn verschiedenen Regisseurinnen zu einem Erzählstrang. Über der Schweiz braut sich eine gigantische Wolke zusammen, ein Supersturm wird erwartet der alles in Schutt und Asche zu legen droht. Innerhalb von Tagen brechen die Institutionen zusammen, Menschen ziehen brandschatzend durch die Straßen, selbsterklärte rechtsextreme Bürgerwehren machen Jagd auf Migranten. Heimatland wurde bereits vor fünf Jahren konzipiert und wirkt prophetisch. Im Laufe des Filmes schließt die Europäische Union ihre Grenzen für Schweizer Bürger mit Nato-Draht, während das Land im Inneren zerfällt und bald mehr an Syrien als an den Berge- und Bankenstaat erinnert. Wie leicht hier Demokratie und Rechtsstaat kollabieren, wenn Grenzen geschlossen werden und Panik ausbricht, ist ein regelrechtes Lehrstück für die aktuelle innerdeutsche Debatte.
HEIMATLAND – Trailer Deutsch from CONTRAST FILM on Vimeo.
Weder Einer von uns noch Heimatland sind leichte Filme, aber sie zeigen wie es das Kino immer wieder schafft einen zum selber und neu denken zu bringen. Manchmal halt verzögert, über Zeit. Oder noch halb im Rausch wie auf dem diesjährigen Max-Ophüls-Preis mit seinem außerordentlich starkem Jahrgang des jungen, deutschen Films.
Von Ruben Donsbach
Bild 1: Heimatland
Bild 2: Nachtmahr
Bild 3: Schrotten
Bild 4: Looping
Bild 5: Einer von uns