Playlist Part 6: Swaggi Maggi’s Tunes

vor 4 years

Das größte Missverständnis über Dancehall in der westlichen Kultur? Twerk = Dancehall.

Seit Jahren setzt sich die deutsche Dancehall-Ikone Swaggi Maggi für die oftmals missverstandenen und unterschätzten Werte von Dancehall ein. Warum die jamaikanische Musik- und Tanz-Kultur so einzigartig und wertvoll ist, doch bis heute nicht ausreichend Respekt erhält. Über die ganz persönliche Geschichte von Margarita Bönning-Ofori alias Swaggi Maggi und ihre exklusive Playlist für unsere OOR STUDIO x FRÄULEIN Serie.

„Dancehall ist mein Leben”,

schreibt uns Swaggi Maggie. „Auch wenn ich keine Jamaikanerin bin, macht Dancehall so gut wie alles aus, was ich mache. Es gibt vieles was mich inspiriert und auch einiges, was ich kritisch sehe. Definitiv ganz besonders ist aber der weltweite Einfluss dieser kleinen Karibikinsel mit knapp 3 Millionen Einwohnern.“ Die in Berlin lebende Dancehall Tänzerin und Lehrerin, Choreografin und Researcherin hat bereits mit Reggae- und Dancehall-Artists wie u.a. Elephant Man, Busy Signal, Beenie Man, TOK, RDX, Gentleman und Mavado gearbeitet. Was mit ihrer tänzerischen und musikalischen Leidenschaft beginnt, wird zu einer ambitionierten, wertvollen, kulturellen Reise. Eine Reise, die sie mittlerweile weltweit – ob in Europa oder Jamaica – zu einer Dancehall-Ikone macht. Doch ihr Weg war alles andere als einfach. Als sie 2011 das erste Mal alleine nach Kingston reist, um dort die jamaikanische Kultur zu erleben und ihr Verständnis zu bereichern, ist sie so gut wie allein als weiße Frau, die auf den Straßen und den Clubs ihrer Faszination für die Dancehall-Kultur nachgeht. Genau dort nämlich, in jenen Straßen und Clubs, ist Dancehall geboren und genau dort wird es bis heute immer und immer wieder neu erschaffen und weiterentwickelt, mittlerweile von diversen jamaikanischen Tanzcrews, die Moves erfinden und sie weltweit unterrichten. Es ist der Ort, an dem Swaggi Maggi lernt, sich zu behaupten und sich mit viel Selbstbewusstsein und ihrem authentischen, puren Interesse an der Kultur und dem Tanz, Respekt erkämpft. Aber auch umgekehrt, begegnet sie den jamaikanischen Tänzern mit großem Respekt. Mit ihrer ehrlichen Intention und Bewunderung, ihrem Wissen und ihrem Talent, erhält sie schnell Anerkennung in Kingston.

Margarita Bönning-Ofori alias Swaggi Maggi wird 1988 in Nürnberg geboren. Ihre Mutter ist deutsch, ihr Vater Chilene. Sie lernen sich in Südamerika kennen, zu einer Zeit, in der in Chile eine grausame Krise herrscht. Bis 1990 wird das Land als Militärdiktatur von einer Junta regiert. Die Flucht nach Deutschland rettet Bönnning-Oforis Vater das Leben. Dort, in Nürnberg, beginnt die Geschichte von Swaggi Maggi. Zwar hat sie schon immer eine große Leidenschaft für das Tanzen, doch sich daraus eine professionelle Karriere aufzubauen, war nie ihr Ziel. Jahrelang tanzt sie Standard bis sie sich immer stärker in die Reggae- und Dancehall Musik verliebt und entschließt, sich Dreadlocks zu machen. Damit prallt sie in der konservativen Szene des Standard-Tanzes auf Unverständnis und Widerstand. Doch glücklicherweise bringen sie diverse Umstände auf einen neuen Weg, der zu einer Lebensmission wird.

Bönning-Ofori beginnt zunächst ein Studium in Berlin in Spanischer und Portugiesischer Philologie während sie zeitweise am Edna Manley College of the Visual and Performing Arts in Kingston voluntiert und studiert. Die jamaikanische Kultur wird nicht nur zum Objekt ihrer Recherchen, sondern entwickelt sich zu einer großen Leidenschaft. Ihr Masterstudiengang in Social- and Cultural Anthropology folgt. Dafür recherchiert sie viel Vorort in Jamaica, nutzt so die Zeit ihres Studiums, um sich nicht nur tänzerisch sondern auch wissenschaftlich mit Dancehall zu beschäftigen. Werke wie Inna Di Dancehall von der soziokulturellen Analytikerin und Professorin Donna P. Hope werden zu ihrer Standardlektüre. Später dann ist sie für kurze Zeit auch Gasthörerin an dem Institute of Caribbean Studies der University of the West Indies (UWI) in Jamaika, dort, wo u.a. auch Hope unterrichtet. „From the streets to the studio – the cultural institutionalisation of dancehall dancing: A transnational perspective from Jamaica“ wird der Titel ihrer Masterarbeit. Und weil die Reise der wissenschaftlichen Arbeit über Dancehall unendlich ist, schreibt sie bis heute Artikel für Fachzeitschriften wie Riddim, beschäftigt sich analytisch und teilweise aufgrund von zeitgenössischen Trends auch kritisch mit der Entwicklung von Dancehall, organisiert Lesungen mit Dancehall-Ikonen wie Orville Xpressionz, auch bekannt als Dancehall Professor. Ermöglichen kann das die heute international anerkannte Tänzerin und Choreografin durch ihre Promoter-Tätigkeiten.

„Dancehall ting now is a world to itself. Nobody can explain the dancehall. Nobody. You just have to come and experience it.“

Mit dieser Idee, die von dem legendären, jamaikanischen Disc Jockey Ricky Trooper stammt, gründet Swaggi Maggi ihre eigene Firma: TopUp ProductionS, eine Community an Promotern und Ambassadors der jamaikanischen Dancehall-Kultur in Berlin. Regelmäßig organisiert sie mit ihrem Team Workshops, promotet Touren für jamaikanische Tänzer in Europa, organisiert authentische Dancehall-Partyreihen in Berlin und organisiert jährlich in Kollaboration mit der Tanzcrew M.I.K. Family das CDC Festival, Deutschlands größtes afro-diasporische Tanz-Festival. Seit 2014 bietet sie Reisen nach Jamaika an um den kulturellen Austausch zu stärken und das Verständnis zwischen der karibischen und westlichen Kultur zu fördern. Und selbst unterrichtet sie – mit Ausnahme von Krisenzeiten wie diese – fast täglich in Berlin Tanzkurse, die ein fundiertes Wissen von authentischem Dancehall vermitteln.

Obwohl Swaggi Maggi 2010 Deutschland’s Dancehallqueen wird, auf der stilistisch femininen Seite des Dancehalls, gilt ihre Leidenschaft vielmehr dem Oldskool und Midskool Dancehall. Besonders der Ursprung von Oldskool Dancehall ist ein sogenannter social dance. Er wurde auf den Straßen Jamaikas kreiert in Form von Tanz-Schritten, die zu bestimmten Dancehall Tunes von so vielen Menschen wie möglich gemeinsam getanzt werden konnten. Diesen Ursprung der jamaikanischen Tanzkultur ist vielen überhaupt gar nicht bekannt, während die feminine Seite des Dancehalls hingegen leider oft von Laien als sexistisch empfunden wird – viele kennen diese nur aus diversen Musikvideos. Ob Dancehall auch eine feministische Seite hat? „Das lässt sich nicht so kurz beantworten. Wenn es um die Gleichberechtigung aller Menschen jeglichen Geschlechts oder Orientierung geht: nein. Wenn es aber um die Selbstbestimmung von Frauen im Dancehall geht – ja und nein“, so Swaggi Maggi. Ihr Name stammt übrigens von dem jamaikanischen Slang “Swag”, der später dann auch zu einem Dancehall Move wird. Stylish Moves, gegründet von Tänzer-Ikone Latonya Style, die 40 steps of class & confidence von A-Z im Dancehall kreiert hat, zertifiziert Swaggi Maggi zum Stylish Moves Teacher. Latonya Style und auch Swaggi Maggi sind perfekte Beispiel für starke, inspirierende, selbstbestimmte Frau, dessen Dancehall Tanzstil aufgeladen ist mit viel weiblicher Power und einer beeindruckenden Energie. Und genau das stellt auch Swaggi Maggi’s persönliche Geschichte dar, auch losgelöst von den Werten des Dancehalls. Sie inspiriert und gibt Hoffnung, dass es eine feminine Zukunft gibt, die für die richtigen Werte einsteht und Respekt und Wissen allem voranstellt.

Mittlerweile lebt Swaggi Maggi mit ihrem Mann, Tänzer und Choreograf Prince M.I.K. Ofori, und ihren zwei Söhnen Kymani und Maleek in Berlin. Ende August soll das durch COVID-19 verschobene CDC Festival in Berlin stattfinden – für alle, die sich einen Eindruck verschaffen möchten, wie sich die Energie der Dancehall-Kultur anfühlt. Als Warm-Up gibt es hier schon mal Swaggi Maggi’s Playlist mit ihren 19 Lieblings-Songs, die sie in ihrem Leben besonders beeinflusst und geprägt haben sowie ein Video einer Dancehall Kollaboration von jamaikanischen und europäischen Dancehall-Tänzern, choreografiert von Swaggi Maggi.

Text: Sina Braetz

 

 

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