Für ihre erste große Nebenrolle in Michael Hanekes Das weiße Band erhielt die deutsch-rumänische Schauspielerin Maria Dragus 2010 den Deutschen Filmpreis. Seitdem hat sie sich aufgemacht, das internationale Kino zu erobern. Wirklich wichtig ist ihr, die Welt zu verändern. Ein Gespräch über den Tanz, das Spiel und den politischen Idealismus ihrer Generation.
Talkin bout my Generation
Maria, dein Vater ist Theater-Solocellist, deine Mutter Ballett-Tänzerin. Waren beide ein großer Einfuss bei deiner Berufswahl?
Nicht so sehr. Als ich geboren wurde, hat me Mutter für mich ihre Karriere beendet. Ich kenne das also nur aus Erzählungen und bin eher durch Zufall erst zum Tanz und später zum Schauspiel gekommen. Meine Eltern haben mir da unheimlich viel Freiraum gelassen. Meine Mutter hat mich sogar mal gefragt, warum ich denn nicht Ärztin werde wolle (lacht)? Aber klar, ich bin im Theater aufgewachsen und mir war von Kleinauf klar, das ich in irgendeiner Form auf der Bühne stehen wollte. Du hast erst an der Staatlichen Ballettschule in Dresden, später an der Palucca-Schule Tanz studiert. Warum hast du es für das Schauspiel aufgegeben? Tanz ist eine Welt, die wahnsinnig viel von einem verlangt. Und das auf einer Ebene, die man selber nicht wirklich beeinflussen kann. Man ist sehr anhängig von seiner Gesundheit. Nachdem mein Körper ersten Verschleiß zeigte und ich Probleme mit meinem Knie bekam, beschloß ich, einen anderen Weg zu gehen. Aber ich arbeite gerade mit einem Choreographen an einer historischen Rolle. Man versucht, ausgehend von der Aktion, einen Sinn in der Bewegung zu finden. Es ist toll, die Körperlichkeit des Tanz auch auf das Schauspiel anwenden zu können. Ist das für den Film
Mary, Queen of Scots?
Genau, mit Margot Robbie als Königin Elizabeth und Saoirse Ronan als Mary Stuart. Ich spiele eine von Mary Stuarts Zofen, Mary Fleming. Die Frauenmode in der Zeit von Mary Stuart war sehr starr. Ja, wir spielen im Korsett. Hast du Erfahrung mit dieser Art von Kostüm? Anfang 2018 kommt der Film Licht heraus. Darin spiele ich eine blinde Pianistin im 18. Jahrhundert, komplett im Korsett. Interessieren dich historische Stoffe? Absolut. Spannend ist ja erstmal, dass es keine Fotos oder Filme, keine bewegten Zeitdokumente aus diesen Zeiten gibt. Du musst jede Bewegung und Regung quasi neu entdecken. Was Mary, Queen of Scots und Licht gemeinsam haben, ist, dass das jeweilige Frauenbild schwierig zu erfassen ist. Das war jeweils lange vor der Emanzipation und der Frauenbewegung. Wie stellt man eine starke Frau dar in einer Zeit, die derart patriarchisch war?
"Wir müssen gerade zur Bundestagswahl bei jungen Menschen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass Wählen zu dürfen ein Privileg ist."
Du spielst, seit du elf Jahre alt bist. Dein Durchbruch gelang, als der Regisseur Michael Haneke dich für seinen später vielfach preisgekrönten Film Das weiße Band besetzte. Wie kam es dazu?
Das war völlig absurd. Ich hatte die Casting-Nummer 1. Die Legende will es, das danach noch 6.000 Kinder gefastet wurden sind – allerdings für verschiedene Rollen. Bei mir ging dieser Prozess über ein dreiviertel Jahr. Ich musste immer wieder kommen und dasselbe vorsprechen. Dann kam ein Anruf: „Sorry, war schön mit dir, aber wir haben uns für jemand anderes entschieden“. Was OK war für mich. Ich ging ja noch zur Schule und wusste gar nicht, wer Haneke überhaupt war. Dann gab es doch noch einen Recall, ich bekam den Job und erlebte diesen krassen Sommer, der wie ein Traum vorbei zog. Das war ein absolutes blessing.
Kann es auch eine Bürde sein, als ersten großen Regisseur gleich ein solches Genie wie Michael Haneke zu erleben? Kann es danach nicht nur noch abwärts gehen?
Vergleichbar war später noch meine Arbeit mit dem rumänischen Regisseur Cristian Mungiu, mit dem ich den Film Bacalaureat (Gratulation) gedreht habe. Beide, Haneke wie Mungiu, sind Künstler, die komplett unabhängig von allem sind. Denen egal ist, was andere über sie denken. Das ist ja das beeindruckende an ihren Filmen. Dazu haben sie eine Präzision, die anderen völlig abgeht. Dennoch hat mir diese Erfahrung eher erleichtert, mit anderen zusammen zu arbeiten. Ich habe eine Form von Präzision schätzen gelernt, die Liebe zum Detail.
Führt diese Präzision während des Drehs zu einer großen Strenge?
Nee, beim Haneke ist es so wie ein Bild, wie Malerei. Er fügt Schicht um Schicht hinzu: Das Licht, die Bewegungen, die man zusammen entwickelt, die teils tatsächlich sehr genau seinen Vorstellungen folgen müssen. Aber mich hat das nie eingeengt im Gegenteil. Es ergibt ein Gerüst, in dem ich mich bewege, von dem ich Aspekte übernehmen kann. Für den Rest bin ich komplett frei. Ich begreife mich eh als das Werkzeug eines Regisseurs.
In Bacalaureat, für den Cristian Mungiu 2016 den Regiepreis der Internationalen Filmfestspiele von Cannes gewonnen hat, spielst du komplett in Rumänisch. Ist dir diese Kultur von deinen Eltern her vertraut?
Die Geschichte des Films, das Milieu in dem er spielt, war mir völlig fremd. Aber die rumänische Kultur ist mir sehr vertraut, ja. Ich habe in meiner Kindheit sehr viel Zeit dort verbracht und bin immer noch alle zwei Monate in Bukarest bei meinen Freunden oder bei meiner Großmutter auf dem Dorf. Ich bin zweisprachig und mit zwei Kulturen aufgewachsen. Es war spannend, dorthin zurückzukehren, wo meine Wurzeln liegen. Die Sprache ist mir emotional sehr nahe, die Arbeit mit Christian war wunderschön. Ich habe das viel bewusster als die Arbeit mit Haneke erlebt. Ich verstand, diese Zusammenarbeit war wie eine Kirsche, die man nicht so oft bekommt. Man konnte frei sein und sich fallen lassen, man musste überhaupt keinen Widerstand zeigen als Schauspieler.
Das rumänische Kino wird zur Zeit als das spannendste in ganz Europa gelobt. Woran mag das liegen?
Ich glaube, es gibt in Rumänien eine politische Notwendigkeit, Geschichten zu erzählen und sie auf die Kinoleinwand zu bringen. Bacalaureat wurde in 42 Ländern gezeigt und auch in Rumänien heiß diskutiert. Das Leben dort stagniert seit der Revolution 1989. Die Menschen haben seit langem die Hoffnung, dass es ihren Kindern einmal besser gehen wird als ihnen. Trotzdem wiederholen sich die Lebensläufe immer und immer wieder.
Woran liegt das?
In Rumänien macht man einen Schulabschluss, um irgendwie den Absprung zu schaffen. Gleichzeitig haben alle meine rumänischen Freunde in Deutschland ein wahnsinniges Heimweh. Meinem Vater geht es genauso. Aber es ist halt sehr korrupt dort. Und diese Korruption ist mittlerweile so tief in der Kultur verankert, dass es nicht mehr raus geht. Das ist schade, weil es ein so wunderbares Land ist. Ein Land, in das internationale Firmen kommen, um es auszubeuten, gerade auch die Umwelt, die natürlichen Ressourcen; um die Not der Menschen, der Arbeiter, auszubeuten, die teils noch am Hungertuch nagen.
Ein ganz anderer Film, in dem zuletzt zusehen warst, spielt in Berlin und heißt Tiger Girl. Der Regisseur Jakob Lass arbeitet im Vergleich zu dem, was du mir eben über Haneke und Mungiu gesagt hast, ganz anders.
(Lacht) Ja.
Jemand, der zwar einen Rahmen setzt, euch darin aber ausflippen und improvisieren lässt. Wie kamst du dazu, die Rolle der durch Berlin marodierenden Vanille zu spielen?
Ella (Rumpf. Neben Maria Dragus die zweite Hauptrolle in Tiger Girl. Anm. der Red.) und ich kennen uns schon richtig lange, seitdem wir 16 Jahre alt sind. Während des Mungiu-Drehs bekam ich einen Anruf. Sie suchten nach einer Schauspielerin, ob ich nicht Zeit hätte? Ich bin dann mit nur einem Tag Pause von Rumänien aus der tiefsten Provinz nach Berlin gekommen. Das war ganz absurd. Wir haben ewig gedreht, ich glaube 60 Tage lang. Das gab mir immerhin die Zeit, erstmal anzukommen. Jakob macht nicht viele Vorgaben, er mag es, wenn man sich selber einbringt und eine Vision für seine Figur entwickelt. Es gab 32 Szenen, die irgendwie festgelegt waren. Aber das waren oft nur Einzeiler. Da steht dann: „Vanille und Tiger sind auf dem Tempelhofer Feld und quatschen Touristen an“. Manchmal war es auch nur: „Schön, dass ihr alle da seid. Und bitte!“ Klappe. Kamera an. Und dann musst du halt selber überlegen, was du da sagen oder machen willst.
Wie entsteht die notwendige Energie am Set, die solch eine Arbeitsweise zu irgendetwas führen lässt? Geht man jede Nacht feiern?
(Lacht). Nee, das ist halt Jakob. Man schläft sehr wenig, vielleicht vier Stunden die Nacht, befindet sich auf einem richtigen Trip. Dann musst du wieder ans Set. Das ist Team-Spirit und ein großartiger Kameramann, Timon Schäppi, mit dem wir geil zusammengearbeitet haben. Man wird eins mit seiner Kamera, das ist wie ein Tanz und macht einen großen Teil dieser Energie aus. Tiger Girl ist ein sehr wütender Film.
Ist Wut ein Gefühl, mit dem du persönlich etwas anfangen kannst?
Wut entsteht aus Unterdrückung. Und ich kann von Glück sagen, dass ich das in meinem Leben bisher nicht erlebt habe. Ich finde es daher generell, aber natürlich vor allem bei Tiger Girl, sehr schwer, als Schauspielerin Wut auszudrücken. Ich verabscheue Gewalt, kann das gar nicht haben. Und wenn du dann auf Leute draufschlagen oder Sachen kaputtmachen musst, dann ist das scheiße und nicht mein Ding.
Wir hatten gerade den 25. Jahrestag der Ausschreitungen in Rostock. Die AfD könnte es erstmals in den Deutschen Bundestag schaffen. Hast du den Eindruck, dass der deutsche Film wieder politischer werden muss?
Das ist eine sehr gute Frage. Ich muss leider zugeben, dass ich im letzten Kinojahr in Deutschland nicht so viele Filme gesehen habe. Insofern kann ich mir kein abschließendes Urteil erlauben. Aber grundsätzlich ist es mir sehr wichtig. Junge Menschen erfahren ihre Bildung oft nur über die neuen Medien und mit Abstrichen im Kino. Umso wichtiger, dass auch unsere Filme politisch Haltung zeigen. Ich habe manchmal den Eindruck, das meine Generation, Jahrgang frühe 1980er, im Gegensatz zu deiner Generation viel unpolitischer ist. Das ihr euch wieder mehr interessiert für Politik, während wir sehr dieses Feier- und Partyding hatten, jeder letztlich sehr auf sich bezogen war und meist auch noch ist.
Warum denkst du das?
Zum Beispiel nutzt deine Generation das Internet viel selbstverständlicher, um sich zu bilden und politische Meinungen auszutauschen. Ich denke, es gibt dort ein größeres Interesse an gesellschaftlichen Themen. Ich sehe das total so und ich finde es auch wunderschön. Wir können so viel bewegen mit unserem Idealismus. OK, das hängt nicht unbedingt mit dem Alter zusammen. Aber als junger Mensch, noch ohne eigene Familie, ohne dass man irgendwo festsetzt, kann man sehr viel gestalten. Wir müssen gerade jetzt zur Bundestagswahl bei jungen Menschen ein Bewusstsein dafür schaffen, dass wählen zu dürfen ein Privileg ist. Wie krass es ist, dass wir in unserem Land die Politik beeinflussen können und wie schrecklich es dagegen ist, Zäune um unsere Länder hochzuziehen, damit bloß keiner hinein kommt. Das haben wir doch schon alles einmal durch. Wir kennen doch unsere deutsche Geschichte, wir können darauf verweisen und eine Stärke und Notwendigkeit aus dieser Erfahrung schöpfen. Zu merken, das viele meiner Freunde, viele junge Menschen Bock darauf haben, etwas zu bewegen, macht mir Mut.
Interview: Ruben Domsbach
Bilder: David Fischer
Styling: Sina Braetz
Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein-Ausgabe 04/2017