The Hardest Motherfucker on Earth

vor 4 years

Warum der Rapper ICE-T zum Vorbild des deutsch-iranischen Autors Behzad Karim-Khani wurde. Ein Essay.

Es war Mitte der 90er im Pott. Wir waren zwischen 16 und 22 und 150, vielleicht 200 an der Zahl. Nicht ganz die Hälfte war wirklich down, was aber immer noch ein guter Schnitt war.

Wir tranken Johnny Walker mit Cola, drehten King Size Joints und Phillies, fuchtelten mit Butterflies rum, die ersten scharfen Knarren tauchten auf, die uns –unter dem Fahrersitz versteckt – etwas verliehen, das wir für Maskulinität hielten. Die Sommer verbrachten wir auf Stromkästen und an den Straßenecken der Nachbarschaft, die Winter in Jugendzentren, in Spielhallen und Kneipen des Ruhrgebiets, wo auch jede Menge Zuhälter und H-Dealer rumhingen und die ersten von uns hingen auch mit diesen Typen rum. Die Überfälle häuften sich im Sommer. Die Überdosen auch. Die Messerstechereien sowieso. Knastabschiedsparties waren das ganz große Ding und auch sonst waren wir ein ziemlicher Albtraum. Die erste Sparkasse Deutschlands, in der das Bargeld abgeschafft wurde, war in unserem Viertel. Das waren wir und wir waren mächtig stolz drauf. Wir waren down. Ziemlich sogar.

Mit der Zeit, die damals schon schnell verflog, bedeutete down sein immer mehr Aufwand und immer weniger Fun. Scheiße bauen wurde professionell. Ich stellte fest, dass Parties, Girls, LSD und vor allem Rap einem auch viel geben konnten, dass die Aura der scharfen Knarre auch noch eine ganze Weile nachwirkte und mir ein Selbstvertrauen verschaffte, das bei den Mädels aus den besseren Vierteln Interesse weckte und sie über vieles, über sehr vieles hinwegschauen ließ, was man über ihre Eltern allerdings nicht sagen konnte.

Karriere machen war ohnehin nie mein Ding gewesen, auch Gang-Karriere nicht. Und machen wir uns nichts vor, ich wäre nicht weit gekommen. Dafür fehlten mir schlicht zwanzig Kilo Muskeln oder die Perspektivlosigkeit, außerdem war mein Englisch zu gut und so gab es für mich immer mehr Yo MTV Raps und immer weniger down sein.

KRS Ones UZI und das Chaos im Kopf

Zu dem Zeitpunkt steckte auch Rap in einer Orientierungsphase, die meiner verwandt zu sein schien. Es war eine unentschiedene, durchwachsene Zeit, in der keiner wirklich wusste, wohin die Reise gehen würde oder was möglich war. Das Conscious-Rap-Kollektiv De La Soul pflückten in irgendeinem Park in Long Island G.nseblümchen und gingen samstags mit ihren Brüdern im Geiste A Tribe called Quest rollerskaten. Im Studio in Shaolin saß Wu-Tang Clans RZA und versuchte, die Anomie seines Mitstreiters Methodman und das Chaos im Kopf von Ol’ Dirty Bastard zumindest kurzweilig zu entschlüsseln. Lord Finesse, Artifacts, Das EFX und ein Dutzend anderer betrieben eine Art l’art pour l’art, rappten fast ausschließlich über das Rappen selbst und übten sich in Zungenbrechern. Von Polizeisirenen verfolgt, hob das Sprachgenie KRSOne, der gerade die eigene Göttlichkeit entdeckt hatte, zunehmend ins Feinstoffliche ab.

Ein paar Jahre zuvor hatte er ein Album als Hommage an Malcolm X aufgenommen und es By Any Means Necessary genannt. Auf dem Cover schaut er wie sein Vorbild auf einem ikonischen Foto aus dem Fenster und hält dabei eine Schusswaffe in der Hand. Malcolms symbolträchtigen M1-Karabiner tauschte er allerdings mit der UZI, weapon of choice der Gangbanger.

Public Enemy verkauften Millionen Platten, auf denen sie dem weißen Mann einen Gottkomplex unterstellten, und den Marxismus der Black Panthers in einen nie dagewesenen Lärm verpackten, der das Interesse von Jazzmusikern und weißen Collegekids auf sich zog. Sie griffen das Bildungssystem an, die Justiz, die Radios, die Polizeigewalt, die fordistischen Arbeitsverhältnisse, in denen sie ihre Leute immer noch geknechtet sahen, den Imperialismus, Micky Maus, Uncle Sam und Thanksgiving und auch vor Elvis machten sie nicht halt. Selbst der bisher eher nihilistische Gangster-Rap schien erwachsen zu werden, seine Gewalt einen Überbau zu bekommen.

Konfetti in den Locken, Butterfly in der Hosentasche

Die Coverrückseite von Ice Cubes Death Certificate (auf dessen Vorderseite er neben Uncle Sams Leichnam posiert) verbildlicht diesen Coming-of-Age-Moment vielleicht am deutlichsten. Links steht die Gang. Da Lench Mob in schwarzer Gangmontur. Diesmal allerdings ohne die Gangsterposen. Ohne Attitude. Ohne Waffen, Joints, Goldketten, Autos oder Bitches. Die Jungs stehen oder hocken ungeordnet, wirken teils verwirrt, teils nachdenklich oder fragend und schauen hinüber zu einer Gruppe von Nation-of-Islam-Anhängern, die in ihren uniformen Jackets, den Fliegen und Sonnenbrillen mit geballten Fäusten strammstehen und vor lauter Disziplin kaum zu atmen scheinen. Zwei Schritte weiter vorne steht mittig und also unentschieden Ice Cube selbst in Gangmontur und liest The Final Call, die Zeitung der Nation of Islam.

Während die Frage hier recht klar ist (Gang oder Partei, politische Militanz oder Straßengewalt), Protagonisten und Machtverhältnisse ziemlich überschaubar waren, sah meine Gedankenwelt eher aus wie das Cover von Sgt. Pepper’s Lonely Hearts Club Band der Beatles. Ein Stelldichein, ein Skurrilitätenkabinett, in dem ich selbst in irgendeiner Ecke auf einem Sofa lag, Konfetti in den Locken, Butterfly in der Hosentasche und mit einem piependen Pager in der Hand rüberschaute zu der zentralen Figur desBildes: ICE MOTHERFUCKIN´ T.

In einer schwarzen Raiders-Jacke, Mono-Sonnenbrille, Adidas Woodsyde, der vielleicht minimalistischste und zeitloseste Style, den Hip-Hop je hervorgebracht hat und mit der frisierbaren und daher bald verbotenen Tec-9-Maschinenpistole hatte sichder Hustler aufgemacht, den ganzen Scheißladen zu übernehmen. Die Zunge länger gegen die oberen Vorderzähne lehnend, wenn er das S aussprach, als würde er lispeln, unendlich viel Zeit haben oder einzelne Buchstaben noch mal anlecken wollen, bevor er sie Amerika vor die Füße  spuckte, (mehr „Fuck you“ konnte und kann keiner in einen einzigen Buchstaben legen), erzählte er in The Tower rasant und gradlinig die erdrückenden Härte der ersten Tage eines Gefängnisaufenthaltes herunter:

This is my second day 

I got a ten year stay

I learned my first lesson/

In the pen you don’t play

I saw a brother kill another

Cause he said he was gay

But that’s the way it is

It been that way for years

and when his body hit the ground/

I heard a couple of cheers

It kind of hurt me inside

That they were glad he died

In dem Stück wird der Protagonist von der Brutalität der Knastrealität erschlagen, versucht zu überleben und stellt sich dabei immer wieder die Frage nach der endgültigen, übergeordneten Macht:

I ask myself

Just who had the power?

The Whites? The Blacks?

Or just the gun tower?

Ein Track, den ich schon damals als Metapher verstand. Und später, nachdem ich Foucaults Überwachen und Strafen gelesen hatte, noch mal anders hörte. In dem Track Race War stellte Ice klar, dass Schwarz sein keine Frage der Hautfarbe, sondern der Unterdrückung war. Dass für ihn Mexikaner, Eskimos, Indianer und Iraner wie ich deshalb ebenfalls schwarz waren.

Unbarmherzige Straßenideologie

In Tracks wie New Jack Hustler beschrieb er, zynisch aus der Dealerperspektive, die nicht enden wollende kapitalistische Migräne des more and more, wobei er selbst für keine Sekunde die Logik des Kapitalismus verließ, die sich mit seiner unbarmherzigen, gewalttätigen Ideologie des Straßendarwinismus komplett deckte, was nicht nur die erfolgreichere, sondern auch kohärentere und widerspruchsfreiere Strategie war. Das war auch das, was Ice-T außerhalb des Tracks machte.

Er, der Pimp, hatte eine neue Nutte auf der Straße. White America hieß sie und she better have his money. Das war schon die ganze Geschichte. Dieselbe Nutte hatte mir die Kindheit ruiniert und wenn mein Held, Ice-T, sie misshandelte, war es geiler als jede gang retaliation. 1953 hatte die CIA Mohammad Mossadegh gestürzt und damit die Anfänge einer Demokratie in Iran im Keim erstickt. Es begannen Jahrzehnte der Diktatur, der Unterdrückung, der Verfolgung, des Krieges, und deshalb letztlich auch unsere Flucht. In meiner damaligen Welt übte Ice-T Rache an der Operation Ajax, mit dem die CIA 1953 den Demokraten Mohammad Mossadegh entmachtete, um den Schah im Amt und die Kontrolle über das Öl zu halten. Für das abgeschossene Passagierflugzeug Iran Air 655. Für das Embargo. Die Waffenlieferungen an Saddam Hussein. Dass Ice-T zu meinem Avatar jener Zeit wurde, war aber sicherlich auch der Verzweiflung geschuldet, die der Nutte Amerika angesichts des Rappers aus Los Angeles ins Gesicht geschrieben stand.

Die Tracks, die zum Soundtrack der Stromkästen, der Abschiedsparties und Stadtrundfahrten wurden, sind unzählig, und ich würde sagen, dass das gesamte OG-Album, wie auch das erste Album seiner Metalband Body Count, ganz besonders aber Tracks wie Midnight oder The Tower absolut zeitlos sind und 6 ‘N The Mornin’, Colors, New Jack Hustler unbedingte Klassiker. Dennoch: Ice-T hat als Rapper nie Kunst geschaffen wie Mos Def oder Kendrick Lamar. Ice ging es auch nie um Rap-Techniken und Schachtelreime. Er war auch nicht an logopädischen power moves interessiert, sondern an Empowerment, und so hielt er ein paar Jahre lang eine verdammte Weltmacht in Schach.

Einer gegen Alle

Der Typ ganz alleine. Und wenn Sticky Fingaz von Onyx heute über die großen Hip-Hop-Stars wie Drake oder Lil’ Pump sagt :„We need to bring back fear into hip hop“, dann redet er von dieser Zeit. Eine Zeit, in der der Schauspieler Charles Heston – damals die Verkörperung des alten weißen Mannes – wie eine hilflose Vorstadtprinzessin wirkte, als er sich bei einer Rede vor der NRA über die Lyrics von Body Counts Cop Killer echauffierte. Ice-Ts MP-Salven rissen ihn und das weiße konservative Amerika aus ihrem amerikanischen Traum. Es erklärte ihn zum Staatsfeind Nummer eins.

I got my black shirt on

I got my black gloves on

I got my ski mask on

This shit’s been too long

I got my twelve gauge sawed off

I got my headlights turned off

I’m ’bout to bust some shots off

I’m ’bout to dust some cops off

Cop killer, better you than me

Ice-T und der Gangster-Rap der Zeit brachten sogar die Cops des Los Angeles Police Departments – sonst nicht gerade bekannt für ihre Friedfertigkeit und ihr Demokratiebewusstsein – dazu, Anti-Body-Count-Demos in zivil abzuhalten. Dass sich die Demo und der Widerstand der Politik positiv auf seine Verkaufszahlen auswirkten, war Ice vollkommen klar. Er fuhr buchstäblich mit einem Mittelfinger durch sie hindurch. Mit seiner Familie im Auto, auf dem Weg, sich irgendwo ein paar fried chickens reinzuschieben. Nachts saß er dann im Studio, machte sich über die Ohnmacht des FBI lustig, beleidigte den Präsidenten und seine Frau:

Fuck Tipper Gore,

Bush and his cripple bitch

This is Ice-T. I´m out of here

Told ya, you shoulda killed me

last year

Präsident Bush Senior lag nachts neben seiner Frau Barbara wach und kriegte kein Auge zu. Ich entjungferte derweil eine wirkliche Vorstadtprinzessin auf dem Lederrücksitz des Audis ihres Vaters vor seiner Garage, weil er mir in einem cholerischen Anfall verboten hatte, sein Haus zu betreten. Papa schlief, sie versuchte das Blut mit ihrer Periode zu erklären und in meinem Kopf lief KKK Bitch rauf und runter. Und auch das war geiler als gang retaliation.

Met this fine-assed white girl,

blonde hair, blue eyes, big tits and thighs,

the kinda girl that would knock out most guys.

She got wild in the backstage bathroom,

sucked my dick like a muthafuckin’ vacuum,

said “I love you, but my daddy don’t play,

he’s the fuckin’ grand wizard of the KKK.

I I I love my KKK bitch, love it when she sucks

me though,

I I I love my KKK bitch, love it when she fucks

me though,

I I I love my KKK bitch, she loves it when I

treat her bad,

I I I love my KKK bitch, mutha fuck her

dear old dad.

Doch auch diese von Sorglosigkeit geprägte Zeit verflog, wie Ice-Ts Zeit verflog.

Nach George Bush kam Bill Clinton, George W. Bush, Barack Obama und Donald Trump. Nach Ice-T kamen Tupac, Nas, Biggie, Mos Def und Kendrick. Ice-T erkannte seinen sinkenden Stern in der Popmusik früh und tat, was er ganz in der Logik und der Tradition des Hustlers zu tun hatte: Er erweiterte sein Businessauf TV-Serien, Kollabos, Compilations, Reality-TV und Talk Shows.

Abschied mit Fäusten in der Luft

Nach den Mädels kam auch für mich die Frau, die eine. Nach den Drogen der Kater, das Erwachen. Nach der Kriminalität die Festnahmen, das Gericht, die Bewährung. Und ich bewährte mich. Ich überstand den Kater, auch den moralischen. Fing das Studium an. Mehr Foucault, weniger Ice-T.

Aus meinem Gedächtnis verschwand Ice mit I must stand. Sein vielleicht ehrlichster, erwachsenster Track. Sein Blick in den Spiegel. Sein Resümee. Ein Stück über die schwere Kindheit, den Mindfuck der hustling days, seinen Aufstieg, den Sieg desFBI, das Zerbröseln seines Imperiums, hunderte Jahre Knast, über Läuterung, den Million Man March und über seine Verantwortung als Vater und als Original Gangster. Er endet mit den Zeilen: Check yourself like I did, blackman, because we’re all related. Im Video posiert er mit seinem Sohn, den er laut Wikipedia nicht hat. Die rechten Fäuste in der Luft. Der Gruß der Black Panthers. So verabschiedete sich Ice damals auch von mir.

Mein Sohn wächst heute in Kreuzberg auf. In einer der besten Nachbarschaften dieses Landes. Er geht auf eine großartige Schule, hat geduldige und idealistische Lehrer. Mein Selbstvertrauen speist sich nicht mehr aus der Butterfly- und Knarrenmaskulinität, sondern aus der Maskulinität, die Ice in I must stand auszeichnet. Aus der Fähigkeit, Verantwortung zu übernehmen. Sich aus der Kloake, aus dem Mindfuck zu befreien. Dinge zu ändern.

Wenn ich mich nicht irre, habe ich Ice nie mit einem dieser großen Spendenschecks aus Pappe auf einer Bühne gesehen. Ice wurde nie zu einem dieser bürgerlichen Gala- und Charitytypen. Ich weiß, dass Pharcyde ihr erstes Album in seinem Studio produzieren konnten. Ein Album, das einige für große Rap-Kunst halten und, dass Ice jede Menge anderen Künstler den Weg geebnet hat. Und ich weiß auch, dass Ice über Jahre der größte Kautionszahler LAs gewesen ist. Er holte Dutzende seiner Jungs aus dem Knast und zeigte ihnen die Aussicht auf ihre Stadt von der anderen Seite. Von seiner Villa in Beverly Hills, eine der besten Nachbarschaften Amerikas, mit dem Hollywood-Zeichen in Sichtweite. Sie sollten sehen, dass es auch noch einen anderen Blickwinkel gab. Wenn man der Show MTV Cribs trauen kann und ich mich recht entsinne, hatte er Cola-Automaten in den Fluren aufgestellt, damit seine Gäste ihm nicht den Kühlschrank leer saufen.

Neue Aussichten

Vor ein paar Monaten war ich wieder im Pott und habe einige meiner alten Jungs getroffen. Nach 20, 25 Jahren. Muskulöse Typen. Hundert, hundertzwanzig Kilo schwer. Jungs, die seit dreißig Jahren down sind und Autos fahren, die eine Viertelmillion kosten. Wir nahmen uns in den Arm, hingen in einer der alten Kneipen rum, erzählten alte Gangstergeschichten und ich hörte viele neue. Sie wollten wissen, wie es mit mir weiterging und ich erzählte von einem langen Weg, der in Frieden geendet ist, dass ich in Berlin lebe, eine Bar betreibe, dass der Stress anders, aber das Leben gut ist. Und dann fragte einer: „’Ne Shisha Bar?“ Und ich lachte: „Nein, Mann. ’Ne Bar. ’Ne Bar-Bar.“ Er brauchte eine Sekunde, dachte, ich verarsche ihn, oder so.Ich lachte wieder. „Du musst mich mal besuchen kommen.“ Ich hoffe sehr, dass er es macht. Ich hoffe, sie alle kommen mich besuchen. Wir würden Phillies rauchen, Johnny Walker mit Cola trinken und dann würde ich ihnen gerne mal die Aussicht zeigen.

 

Text: Behzad Karim-Khani

Beitragsbild: aus “The Tower”

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