Die Frauen in Warnwesten

vor 5 years

Das Durchsetzungsvermögen einer Bewegung in Grellgelb scheint in den letzten Monaten nicht mehr bremsbar zu sein.

Sie, das sind laut einer in der französischen Zeitung Le Monde veröffentlichten Umfrage 45% der Militanten. Sie, hauptsächlich alleinerziehende Frauen, die zum größten Teil am Limit der Armut leben. Diejenigen, an die sich Emmanuel Macron am 10. Dezember 2018 in seinem offiziellen Speech richtete. Vor allem auf einen Punkt insistierte der französische Präsident. Er nannte die Unzufriedenheit der Mütter, alleinerziehend, geschieden oder verwitwet, die „nicht mehr leben können“, sondern zu überleben versuchen, keine Betreuung für ihre Kinder bezahlen, weder am Ende des Monats im Plus enden können.

Laut dem französischen Statistikinstitut, dem INSEE, sind Frauen in Frankreich stärker von Armut betroffen als Männer. Dies erklärt also, weshalb das gelbe Kleidungsstück aus der Unisex-Abteilung, genauer gesagt aus dem Handschuhfach eines jeden Autos, auch von Militantinnen angezogen wird. Diese Weste steht lange nicht mehr nur für Proteste gegen steigende Ölpreise und die Einführung des Dieselverbots. Sie ist mittlerweile zum Synonym einer wachsenden sozialen Unzufriedenheit geworden, die auch Frauen betrifft. Vanessa Friedman widmete dem „gilet jaune“ sogar einen gesamten Artikel in der New York Times.

Die Autorin Magali Della Sudda erklärt in der Zeitschrift Les Inrockuptibles, dass hauptsächlich Frauen aus dem Bereich der „cols roses“ (rosa Kragen), wie sie auf Französisch genannt werden, protestieren. Sie beschreibt einen Typus Frau, die ihren beruflichen Verpflichtungen nicht mehr nachkommen kann, weil sie sich um ihre Kinder oder die restliche Familie kümmern muss. Das Alter der Militantinnen sage auch einiges aus. Sie seien entweder jünger als 25 Jahre oder älter als 40, die dazwischen sähen sich gezwungen, mit den Kindern zuhause zu bleiben.

Die Gelbweste als Spitzenreiter auf PornHub

Die Vorstellung einer Frau in Warnweste scheint sexuelle Fantasien zu erregen.  Wie Vice vor kurzem berichtete, wurden neben „Thanksgiving“ und „Black Friday“ auch die Schlagwörter „gilet jaune“ in den letzten Wochen eifrig in die Suchleiste des Porno-Portals getippt. Die Antwort auf das Phänomen ließ nicht lange auf sich warten. Aktionskünstlerin Déborah de Robertis inszenierte der Marianne zu Ehren, dem Symbol der französischen Republik, eine künstlerische Performance auf der Champs Elysées. Fünf Frauen mit entblößtem, in Silber angemaltem Oberkörper stellten sich in aller Ruhe vor eine Polizeitruppe. Schwarze Stiefel und besprühte Hosen kontrastierten mit den roten Hoodies. Rot als Farbe der Republik, Silber zur statuesken Darstellung des Körpers als eine unantastbare Entität. 

 

„Lasst uns ein Beispiel an der französischen Revolution nehmen, als die Frauen an der Spitze der Protestzüge gegen den König liefen.“

Feministischer oder femininer Kampf?

Genau diese Unantastbarkeit wollen die sogenannten „femmes gilets jaunes“ am 6. Januar in erneuten Manifestationen austesten. In einer privaten Facebookgruppe kommunizieren mehrere Tausende Nutzerinnen seit einem Monat über eine neue, exklusiv weibliche Aktion. Klare Forderungen gibt es hier noch nicht. Es ähnelt einem Protest für Frauenrechte, wird aber ausdrücklich nicht als solcher bezeichnet. Die stereotypischen, alltäglichen Aufgaben der Frau, werden hier beschrieben und kritisiert: Wäsche waschen, einkaufen gehen, sich um die Kinder kümmern, einfach den gesamten Haushalt schmeißen. Mit gemeinsamen Aktionen soll die Ungerechtigkeit der Rollenverteilung und die daraus resultierende Schwierigkeit, als Mutter zu arbeiten, unterstrichen werden.

Wie der französische Nachrichtensender LCI berichtete, wurde in vielen Austauschen in dieser privaten Gruppe betont, dass Polizisten es nicht wagen würden Frauen anzugreifen. Manche schlagen vor, im Rock zu protestieren und klar darzustellen, dass sie Ehefrauen, Mütter oder Schwestern sind. Männliche Polizisten könnten potenziell davon gerührt werden und somit nicht mit Gewalt auf die Proteste reagieren. Hier fangen auch schon die Unstimmigkeiten an. Andere Facebook-Userinnen möchten es eher vermeiden, sich an diesen klischeehaften Darstellungen der Weiblichkeit zu bedienen, um ernst genommen zu werden. Mittlerweile sind am offiziellen Event zwölf Tausend Teilnehmerinnen interessiert. Die Event-Beschreibung verdeutlicht auch nicht die Forderungen, sondern sieht nur den einfachen Protest als Lösung gegen undeutlich definierte Ungerechtigkeiten: „Lasst uns ein Beispiel an der französischen Revolution nehmen, als die Frauen an der Spitze der Protestzüge gegen den König liefen.“

 

Weibliche Gallionsfigur 

An der Spitze der Bewegung befindet sich mittlerweile fast wider Willen die Hypnotherapeutin Jacline Mouraud. Sie erlangte augenblickliche Bekanntheit nachdem ihr Protestvideo mehr als 6 Millionen Mal auf YouTube geklickt wurde. Das war ganz am Anfang, im Oktober 2018. Danach haben Autos gebrannt. Banken wurden zerstört und dem Prinzip des Erstürmens in allerlei Hinsicht treu geblieben. Man schreckte auch nicht davor zurück, in den Arc de Triomphe einzubrechen und Wahrzeichen der französischen Republik zu beschädigen. Die Demonstrationen ließen sich nicht nur auf Paris eingrenzen. Kleinere Aktionen mit weniger als hundert Leuten fanden täglich überall in Frankreich statt, hauptsächlich an Kreiseln oder Mautstationen.

Mouraud wurde zum Gast vieler TV-Shows, sie kündigte sogar an, eine eigene Partei gründen zu wollen. Mit Gewalt und Vandalismus wollte sie jedoch von Anfang an nicht assoziiert werden. Vielmehr wollte sie der Frage auf den Grund gehen, wie der französische Staat sein Geld ausgibt. Obwohl, sie das gelbe Kleidungsstück selber nur selten trägt, und höchstwahrscheinlich auch nicht am 6. Januar mit den anderen Frauen auf die Straßen gehen möchte, wird ihr Video einer der zentralen Auslöser der Bewegung bleiben.  

Der Protest fand wie geplant am vergangenen Sonntag statt. Hunderte von Frauen trafen sich in französischen Großstädten und demonstrierten – laut französischer Nachrichtenportale – auf friedlicher Art und Weise.

 

Beitrag: Juliane Clüsener-Godt

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