Wenn sich Gewebe, ähnlich dem der Gebärmutterschleimhaut, außerhalb der Gebärmutter ansiedelt, spricht man von Endometriose. Aber was heißt eigentlich sprechen? Das Thema ist noch immer tabu, Frauen werden mit ihren Schmerzen alleine gelassen. Eine Anklage.
In der Regel schlechte Tage
Wenn dein eigener Körper in dir ein Massaker veranstaltet, in deinem Unterleib im wahrsten Sinne des Wortes ein Blutbad anrichtet, du dich für deine nicht mal selbstgewählte Weiblichkeit bestraft fühlst, am Boden liegst, über der Toilette hängst oder im schlimmsten Falle grad in der Öffentlichkeit, im Büro oder auf der Straße stehst, vor Schmerz und Scham nicht mehr geradeaus laufen, geschweige denn denken kannst … dann schallt es in deinen Ohren und schmerzt noch mehr in deinem Herzen, das allgegenwärtige und auch von deinen besten Freundinnen geäußerte: „Stell dich nicht so an, da muss man als Frau eben durch“.
Doch muss man da wirklich durch? Wie kommt es, dass du dich ständig nach Morphium oder Bewusstlosigkeit sehnst, um diesen Schmerz irgendwie zu betäuben? Du dir viel zu oft viel zu viele Ibuprofen reinknallst und du, als dir klar wird, dass dieser Chemie-Cocktail gerade durch deine Blutbahnen rauscht, in Panik deine 500 Kilometer weit weg wohnende Mutter anrufst, damit sie dich beruhigt? Dir nach einer Horror-Taxifahrt die Tränen kommen, einer Fahrt, auf der du dich auf der Rückbank gekrümmt und versucht hast, das letzte bisschen Würde zu wahren, während der Fahrer dich die ganze Zeit über angestarrt hat? Du versucht hast, nicht zu kotzen, obwohl du im Nachhinein, als dein Verstand klarer wird, wünschtest, du hättest es getan? Denn das wäre zumindest ein kleiner Ausgleich für das, was dir seine Blicke im Moment deiner unsäglichen Pein und Schwäche angetan haben.
Aber du hast dich zusammengerissen, auch wenn es von Außen nicht den Anschein gemacht hat. Du hast nicht in seinen Wagen gekotzt, du hast nicht geschrien und das Leben, das Universum und vor allem deinen Körper verflucht. Und weil es für Magen-Darm-Probleme mehr Verständnis als für Menstruationsschmerzen gibt, denkt der Großteil deiner Arbeitskollegen, dass du mehr auf deine Ernährung achten solltest. Generell gibt man dir also viele gutgemeinte Tipps, die auf Kräutern, Tollkirschen und Potenzen basieren. Mittlerweile nickst du dazu nur noch abwesend und lässt dir von Freunden stärkere Schmerzmittel aus dem Ausland mitbringen.
Denn in dir selbst ist dieses Zusammenreißen schon so sehr verankert, dass du kaum das Wort Gebärmutterschleimhaut über die Lippen bringst. Obwohl die der Ursprung deines unsäglichen Leides ist. Denn wenn sich Gewebe, ähnlich dem der Gebärmutterschleimhaut, außerhalb der Gebärmutter ansiedelt, spricht man von Endometriose. Dieses immerhin gutartige Gewebe kann sich überall in deinem Unterleib ansiedeln – an den Eierstöcken, den Eileitern, dem Darm, der Blase oder dem Bauchfell. In seltenen Fällen auch an anderen Organen, etwa der Lunge. Und obwohl allein in Deutschland über zwei Millionen Frauen — vermutlich sogar mehr — betroffen sind, kennt die Autokorrektur den Begriff nicht. Selbst wenn du deiner Frauenärztin oder deinem Frauenarzt von deinem monatlichen Horror berichtest, ist die Wahrscheinlichkeit hoch, dass dir gesagt wird, dass dies normal sei, dass es mit dem Alter eben nicht leichter werde.
Bei Schmerzpatienten vergehen oft einfach mal bis zu zehn Jahre, bis es zur Diagnose kommt. Zehn Jahre — also mindestens 120 Tage Schmerz (sofern du zu den Glücklichen gehörst, bei denen diese Schmerzen nicht chronisch, sondern nur zyklisch auftreten). 120 Tage, an denen du nicht verstehst, warum dein Körper – und auch die Gesellschaft – dir dieses Elend antut. 120 Tage, an denen du die Welt nicht verstehst und die Welt dich nicht. Denn die Symptome für Endometriose sind vielfältig.
Bei einigen Betroffenen sind die Schmerzen zyklisch, bei anderen chronisch. Bei manchen verursacht die Endometriose Schmerzen beim Sex, bei anderen bei Toilettengängen. Wieder sind unfassbar müde. Und ganz andere merken gar nichts von ihrer Krankheit. Doch der Schweregrad hängt nicht von der Art oder Intensität der Schmerzen ab. Das heisst, kleinere Endometrioseherde können heftige Schmerzen verursachen, während große ausgedehnte Herde bei anderen Frauen unbemerkt bleiben.
Bei vielen wird die Krankheit erst entdeckt, wenn sie lange vergeblich versucht haben, schwanger zu werden. Endometriose ist eine der häufigsten Ursachen für Unfruchtbarkeit. Aber auch hier dauert es bis zur Diagnose im Schnitt drei Jahre. Denn Endometriose hat keine große Lobby. Weder in Deutschland noch anderswo. Die Zahlen in den Industrieländern ähneln sich. Als Frau musst du die Zähne zusammenbeißen. Das lernen wir von kleinauf. Wer erinnert sich nicht an das Mädchen, das einmal im Monat nicht am Sportunterricht teilnehmen wollte? Ernst genommen hat man sie fast nie … war ja klar, die mag halt kein Volleyball, könnte man nächste Woche auch mal ausprobieren, aber ist ja auch irgendwie peinlich vor allen zuzugeben, dass man grade blutet. Genau so ist es heute immer noch. Unterleibsschmerzen gelten nicht als Entschuldigung. Erwachsene Männern fangen zu Stottern an, wenn ein Tampon aus der Tasche fällt. Wenn man denen mit Gebärmutterschleimhaut kommt, erntet man Ekel statt Mitgefühl.
Was also tun? Sich aufschneiden lassen. Von einem Arzt, der sich auskennt und der schon bei den ersten Symptom-Beschreibungen kapiert, was Sache ist. Solche Ärzte sind nicht gerade weit gestreut, aber im Internet zu finden. Bei einer Bauchspiegelung unter Vollnarkose kann Endometriose-Herde erkannt werden. Nach der Entfernung des falsch angesiedelten Gewebes folgt eine Hormontherapie. Ganz ausgeheilt wirst du nie sein, die Endometriose kann immer wieder kommen. Ihre Ursachen sind weitgehend unbekannt. Vielleicht wirst du durch die Therapie plötzlich zur Sportskanone und krempelst deine Ernährung komplett um. Vielleicht hilft eine Therapie mit chinesischen Kräutern und Akupunktur, vielleicht nicht. Aber immerhin weisst du, woran du bist. Oft hilft es, sich nicht zusammenzureißen. Freunden und vielleicht auch Kollegen zu zeigen, dass in dir ein Massaker tobt. Damit dir jemand mal die Hand hält, Tabletten mitbringt und eine Wärmflasche macht. Und auch wenn Doc Google sonst eher Unheil verkündet, wirst du bei deiner Internetrecherche im Schmerzdelirium feststellen, dass auch andere darunter leiden. Und darüber sprechen. Zum Beispiel Lena Dunham oder Lilly Becker.
Was nie hilft — auch nicht in extremen Ausnahmefällen — ist dem Taxifahrer in den Wagen zu kotzen. Denn du wirst nicht schnell genug wegrennen können.
Weitere Informationen über Endometriose, ebenso wie eine Arztliste findest du hier:
http://www.endometriose-vereinigung.de/
Text: Fay Kornmeier
Bild: Julien Laurent/Unsplash
Der Beitrag erschien erstmals in der Fräulein 03/2017.