Erst die Empörung, dann die digitale Solidarität. Frauen auf der ganzen Welt setzen ein Zeichen. #metoo und jetzt?
Kommentar: #metoo und unsere Verantwortung
Pussy-Grabber Trump, Harvey Weinstein, Terry Richardson oder Ben Affleck, immer mehr prominente Männer werden beschuldigt, Frauen über Jahre systematisch sexuell belästigt zu haben. Die Empörungswelle ist nicht mehr aufzuhalten. Millionen von Frauen haben bereits unter dem #metoo ihre eigenen Erfahrungen in Bezug auf Sexismus und obszöne Übergriffe öffentlich gemacht. Das ist auch gut so. Denn nichts ist schlimmer als die Angst, die das Schweigen nährt. Doch die #metoo-Debatte droht gleichzeitig zu weit und dabei nicht weit genug zu gehen.
Der Fall Weinstein
Vor kurzem hat die Hollywood Academy verkündet, dass die “Ära des Wegschauens” vorbei sei – und Harvey Weinstein ausgeschlossen. Wahrscheinlich weniger aus Überzeugung als aus Angst vor einem öffentlichen Shitstorm. Denn bisher gibt es noch keine Anklage. Trotzdem ist der Mann längst ruiniert. Da die Vorwürfe gegenüber Weinstein erdrückend scheinen, sollte sich das Mitleid mit ihm in Grenzen halten. Nur: es reicht nicht, einige wenige Prominente zum Abschuss frei zu geben. Das Problem liegt viel tiefer und ist systemisch.
Die Hollywood Legende Jane Fonda brachte es während ihrer Rede bei den Women Media Awards auf den Punkt: „It ain’t new.”! Sexuelle Übergriffe von einflussreichen Hollywood-Mogulen seien seit jeher ein offenes Geheimnis. Auch ginge es weniger um Weinstein und Co.. Das eigentliche Problem seien: Männer und ihre Macht. Mehr noch das Schweigekartell bestehend aus Mitarbeitern, Agenturen, Medien und Politik, welches sie gewähren lässt. Wenn man einem „Bully“ wie Weinstein jahre- vielleicht jahrzehntelang inakzeptables Verhalten gegen Frauen durchgehen lässt, weil er eben ein brillanter „Macher“ ist, dann haben wir (alle) unsere Verantwortung nicht ernst genommen. Besonders jene, die es schon immer gewusst haben wollen und damit nun die Kommentarspalten füllen.
Es herrscht totale Verwirrung
Ich bin mir sicher, dass hinter dem Hashtag ‚metoo’ nicht nur „Mediengeilheit“steckt. Viele der Berichte sind erschütternd. Es ist höchste Zeit für einen Paradigmenwechsel. Doch die aktuelle Debatte ist alles andere als ausgewogen. Frauen werden per se zu Opfern, Männer zu Tätern stilisiert. Diese Rollenverteilung hilft Niemandem und verstärkt in gewisser Weise noch den „Gender-Gap“. Gleichzeitig reicht es nicht, anzuklagen. Der Anklage muss sinnbildlich ein Prozess folgen, der aufklärt aber auch versöhnt. Nette Kollegen sind besorgt, ob sie Mitarbeiterinnen noch ein Kompliment geben oder allein mit einer Frau in einen Fahrstuhl einsteigen sollten. In Artikeln klagen sich Männer selbst (meist anonym) als Täter an, weil sie vor Jahren betrunken einer Frau gegenüber in ihren jugendlichen Flirtversuchen etwas tollpatschig waren. Die Debatte zeigt: Es fühlen sich die falschen Männer angesprochen, die aufmerksamen, die Frauen jetzt schon (überwiegend) mit Respekt begegnen. Die anderen schauen weg, argumentieren mit sexuell übergriffigen Frauen oder sind einfach irritiert. Gerade diese Männer gilt es zu erreichen. Ich bin mir sicher, viele von ihnen denken, ihr Verhalten sei okay, schlimmer noch, es würde sogar von ihnen erwartet. Jungen, die zu Männern sozialisiert werden, sind es oftmals nicht gewohnt zwischenmenschliche Situationen kleinteilig zu erfühlen oder die Grenzen zwischen Flirten und Belästigung sofort zu erkennen. Umgangsformen, die für viele Frauen selbstverständlich sind, wirken für viele Männer oftmals rätselhaft. Übergriffige Männer sollen hier nicht in Schutz genommen werden, ganz im Gegenteil. Es sollte jedem Mann klar sein, dass ein Vorstellungsgespräch oder ein Plausch in einer Bar zwei grundsätzlich verschiedene Situationen sind. Die Öffentlichkeit aufzuwühlen ist ein Anfang. Doch Veränderung muss darüber hinaus gehen. Strategien müssen gedacht werden, die Dialog ermöglicht und ein Umdenken auslöst.
Wir müssen Verantwortung übernehmen
Wir Frauen sind nicht nur Opfer, sondern tragenVerantwortung für die Welt, in der wir leben. Damit meine ich nicht, dass wir verantwortlich dafür sind, wenn wir einen Minirock tragen und uns deshalb in den Schritt gefasst wird oder einen Job halten wollen und uns deshalb gefallen lassen müssen, wenn ein Vorgesetzter übergriffig wird. Noch dass wir verantwortlich für unsere Angst sind, wenn bei Nacht ein Mann hinter uns läuft und wir die Straßenseite wechseln. Aber wir sind dafür verantwortlich, dass ein Aufschrei nicht nur ein Aufschrei bleibt. Es kann viel Energie kosten, gegen sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz, oder sonst wo, vorzugehen. Doch da vielen Männern ihr Fehlverhalten nicht bewusst ist, sollte man als allererstes das Problem ansprechen. Hilft das nicht, gibt es Stellen für die Betroffenen, wie Personal- oder Betriebsrat, Gleichstellungsbeauftragte, direkte Vorgesetzte oder die Personalabteilung. Außerhalb des Betriebs können Gewerkschaften, Anwältinnen und Anwälte, Frauenberatungsstellen oder die Antidiskriminierungsstelle des Bundes weiterhelfen. Und ganz wichtig ist, wenn man von Übergriffen anderer weiß oder sexistische Äußerungen mitbekommt: Mund auf!
Wir müssen das patriarchale System auseinandernehmen
Wir müssen lernen über Falsches strategisch klug und prozessorientiert zu reden. Wir müssen uns Männer als verbündete suchen und gemeinsam mit ihnen den Wandel herbeiführen. Wenn wir bestimmte Verhaltensweisen tolerieren, weil sie auch Teil unserer sozialisierten Identität sind, kommen wir aus der Opferrolle nicht heraus. Verhalten wie Respekt und Sensibilität oder was typisch männlich beziehungsweise typisch weiblich ist lernen wir bereits im Kindheitsalter. Wir dürfen nicht so begriffsstutzig tun sondern müssen unser Verhalten kontinuierlich hinterfragen. Möchte ich für gleiche Leistung auch gleiches Gehalt, aber erwarte immer noch, dass er im Restaurant zahlt? Meinst du, es ist okay mit deinen Kumpels über One-Night-Stand-Bekanntnschaften herzuziehen? Du musst auch nicht immer Ritter spielen und mich beschützen und ich nicht immer Prinzessin sein, ich kann dich auch zum tanzen auffordern. Vielleicht sind wir momentan noch verunsicherter als unsere Großeltern, was unser Dating-Verhalten angeht, doch wir sind auch freier. Ich habe mein eigenes Konto und du darfst auch mal schüchtern sein. Also lass uns gemeinsam eine neue Ära beschreiten, damit #metoo-Kampagnen hoffentlich bald der Vergangenheit angehören.
Text: Miriam Galler