Sie wollen doch nur spielen

vor 5 years

Ein Auszug aus unserem aktuellen Heft “Märchen”.

Kleine Mädchen lieben es, sich als Märchenprinzessin zu verkleiden. Doch Kritiker sagen, dass so prekäre Biographien mit niedrigem sozialen Status geprägt würden. Müssen wir im Kinderzimmer Rosa-Glitzer-Sperrzonen einrichten?

 

Neulich hat mir eine von diesen kleinen Kinderhaarspangen das Herz gebrochen. Sie war natürlich rosa und mit Glitzer bestäubt, der schon ein bisschen abgerubbelt war. Kein Wunder, schließlich lag die Haarspange schon wer weiß wie lange im schmutzigen Sand eines innerstädtischen Spielplatzes. Ausgebuddelt hat das Ding die vierjährige Tochter einer Freundin, auf die ich an diesem Nachmittag aufpasste. Eigentlich kein Problem, nur: ihre Mutter ist eine kluge und engagierte Frau, die unsere Welt zu einem gerechteren Ort machen möchte. Eines ihrer Prinzipien lautet, dass ihr Kind alles sein darf – bloß keine Prinzessin. Ihre Wohnung hat sie deswegen zur Rosa-Glitzer-Sperrzone erklärt. Das ist gar nicht so einfach, denn nirgends wird so stark nach Geschlechtern unterschieden, wie bei Produkten für Kinder. Egal ob Kleidung, Nahrungsmittel, Spielsachen oder Bücher – alles ist entweder für Jungs oder für Mädchen. Glaubt man den Marketing-Abteilungen der Hersteller, sind Mädchen zarte Wesen, die am liebsten Tüllröcke und Krönchen tragen, sich die Haare flechten oder mit pinken Herzchen dekorierte Cupcakes backen. Jungs dagegen sollen Rabauken sein, denen Mode schnurzpiepegal ist, und die sich stattdessen für Autos, Fußball und Waffen interessieren. Wie passt das in eine Zeit, in der Erwachsene sich verst.rkt von Geschlechterklischees lösen, Androgynität als schick gilt und sogar die großen Modehäuser dazu übergehen, Kleider für Frauen und Männer nicht mehr getrennt, sondern gemeinsam zu präsentieren? In Ihrem Buch Die Rosa-Hellblau-Falle erklären Almut Schnerring und Sascha Verlan, dass Gendermarketing für Kinder zu allererst für gr..ere Umsätze sorgen soll: Eltern müssten so fast alles zweimal kaufen, schließlich will kein Mädchen das Bauarbeiterkostüm ihres Bruders auftragen, während dieser sich weigert, ins rosafarbene Schaumbad mit Feenstaubpartikeln zu steigen. Die Geschlechtertrennung im Kinderzimmer habe aber auch weitreichendere Auswirkungen, denn im Gegensatz zu Erwachsenen können kleine Kinder Werbebotschaften noch nicht hinterfragen. Dadurch entstehe bereits für Kindergartenkinder Druck, die angebotenen Rollenmuster für sich zu übernehmen und sich in Aussehen und Verhalten vom anderen Geschlecht abzugrenzen. Dass die Tochter meiner Freundin, weil sie Hosen und kurze Haare trägt, meistens für einen Jungen gehalten wird, nimmt ihre Mutter hin – wenn auch nicht ohne Groll. Denn, so sagt sie trotzig: „Ich sehe einfach nicht ein, dass ich mein Kind mit rosa Schleifchen dekorieren muss, nur damit es als Mädchen erkannt wird. Das ist sexistischer Marketingmist.“ Doch was ist eigentlich so schlimm daran, wenn kleine Mädchen Prinzessinnen sein wollen? Schließlich sind Prinzessinnen niedlich und überall beliebt, sie tun keinem weh und sind immer hilfsbereit. Und bei der Märchenhochzeit zwischen Prinz Harry und Meghan Markle heulten im letzten Sommer auch große Mädchen Tränen der Rührung vor dem Fernseher. Außerdem könnte man zu Recht argumentieren, dass die hyperaktiven Brutalo-Rollenklischees für Jungs mindestens genauso bescheuert sind. Das stimmt zwar, trotzdem gibt es einige Unterschiede, die es in sich haben. Zunächst einmal ist Prinzessin per Definition etwas, das man ist, nicht etwas, das man tut. Dagegen sind Pirat, Ritter oder Sternenkrieger im weitesten Sinne Berufsbezeichnungen. Deshalb setzt die feministische Kritik an der Prinzessin als Weiblichkeitsideal traditionell auch an diesem Punkt an: Mädchen würden dadurch zur Passivität erzogen und lernten, dass sie vor allem hübsch aussehen müssten. Prinzessinnenfilme und Prinzessinnengeschichten trichtern ihnen von klein auf ein, dass sie schwach und schutzbedürftig seien und dringend einen männlichen Retter benötigten. Die globale Marktmacht im Prinzessinnen-Business hat unbestritten Disney inne. Die Princess Line, mit der der Konzern allein im Jahr 2017 mehr als sechs Milliarden Dollar Umsatz erzielte, umfasst elf Zeichentrickfilmcharaktere, mit denen derzeit jedes denk- sowie undenkbare Produkt vermarktet und beworben wird: Schneewittchen, Cinderella, Aurora, Arielle, Belle, Jasmine, Pocahontas, Mulan, Tiana, Rapunzel und Merida. Eine Studie aus dem Jahr 2016 zeigt, dass die Besch.ftigung mit Spielzeugen der Princess Line von Disney auf Jungen und Mädchen unterschiedliche Effekte hatte: während Jungs ein besseres Selbstwertgefühl entwickelten und sich anderen gegenüber empathischer zeigten, brachte es Mädchen dazu, den eigenen Handlungsspielraum als begrenzt wahrzunehmen. Sie zeigten sich verstärkt unsicher in Bezug auf ihr Aussehen und hielten sich beim Spielen zurück, weil sie sich nicht schmutzig machen wollten. Die Bewegung Pinkstinks! kritisiert daher die „Pinkifizierung“ von Mädchenwelten. Die Aktivistinnen argumentieren, dass Marken wie Disney und Prinzessin Lilifee mit ihren rosaroten, stets harmlos-angepassten Protagonistinnen Mädchen schon im Vorschulalter jeglichen Entdeckergeist und Forschungsdrang wirkungsvoll austreiben. Als Ergebnis würden sie sich dann auch später nicht für Fächer wie Mathematik oder Naturwissenschaften interessieren und sich häufiger für schlechtbezahlte Berufe, etwa in Erziehung und Pflege, entscheiden. Eine Prinzessinnenverschwörung, die Frauen davon abhalten soll, in lukrativen Berufsfeldern zur ernstzunehmenden Konkurrenz für Männer zu werden? Einige Kritikerinnen gehen sogar noch weiter. Für sie sind Disney-Filme perfide Unterdrückungswerkzeuge, deren Heldinnen keinen Prinzen, sondern psychologische Hilfe und einen guten Anwalt gebrauchen könnten. So würde etwa Belle aus Disneys Die Schöne und das Biest offensichtlich am Stockholm-Syndrom leiden – einem psychischen Schutzmechanismus, bei dem die Opfer von Geiselnahmen ein positives emotionales Verhältnis zu ihren Entführern entwickelten. Die Zeichentrick-Pocanhontas betreibe imperialistische Geschichtsfälschung, indem das Unrecht der Kolonialisierung verniedlicht und die wahre tragische Geschichte der indigenen Heldin auf eine heteronormative Quark-Schmonzette reduziert werde. Und Schneewittchen, die erste aller Disney-Prinzessinnen aus dem Jahr 1937, verrichte unbezahlt niedere Hausarbeiten für eine Gruppe kleinwüchsiger Männer und werde dazu noch Opfer von sexueller Gewalt – schließlich habe der Prinz vor dem entscheidenden Kuss nicht das Einverständnis der schlafenden Prinzessin eingeholt. Vereinzelt gibt es aber auch Lob an den neueren Disney-Prinzessinnen, die immerhin eigene Interessen und Ziele verfolgen und für die eine romantische Beziehung nicht mehr das ultimative Lebensziel darstellt. Prinzessinnen wie Mulan, Rapunzel oder Merida zeigen, dass junge Frauen durchaus auf sich selbst aufpassen können und genug Schneid haben, auch ohne männliche Hilfe gegen finstere Mächte anzukämpfen. In Zeiten, in denen die Trump-Regierung die Rechte von Homosexuellen und Transpersonen in den USA massiv beschneiden will und die AfD in Deutschland damit punktet, Feministinnen als Feindinnen einer naturgegebenen Familienordnung zu verteufeln, erhalten solche Erzählungen auch eine politische Dimension. Sie machen deutlich, wie fragil das Ideal einer pluralistischen offenen Gesellschaft in Krisenzeiten ist. Deshalb ist es wichtig, die Träume und Wunschbilder unserer Kinder nicht dem wirtschaftlichen Kalkül der Großkonzerne zu überlassen, sondern ihnen das Selbstbewusstsein zu vermitteln, selbst entscheiden zu können, welches Leben sie führen wollen. Jugendforscher und Erziehungsexperten raten trotzdem dazu, dem Prinzessinnenwahn der Töchter gelassen zu begegnen, da Verbote die rosaroten Märchenwelten umso zauberhafter erscheinen lassen. Hilfreicher sei es, Alternativen aufzuzeigen und Kinder dabei zu unterstützen, möglichst vielfältige Interessen zu entwickeln. Wenn die Prinzessin nur noch eine Spielvariante unter vielen möglichen darstellt, sind wir schon einen großen Schritt weiter. An diesem Nachmittag auf dem Spielplatz, sah die Tochter meiner Freundin die ausgebuddelte Glitzerhaarspange lange an. Ein bisschen so wie ein kleines Tier, das sie sehr lieb hatte. Man konnte sehen, wie gut sie ihr gefiel und wie sie innerlich gegen den Wunsch ihrer Mutter kämpfte, sich diesen Prinzessinnenquatsch ein für alle Mal abzuschminken. Schließlich steckte sie die Haarspange in ihre Hosentasche und sagte nachdenklich:„Vielleicht brauche ich die später noch einmal”. Dann sauste sie los und kletterte auf dem Klettergerüst bis nach ganz oben.

 

Text: Diana Weis
Dieser Beitrag erschien zuerst in Fräulein-Ausgabe 1/2019

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